Bürgerforum Energiewende Hessen

Faktenchecks & Faktenpapiere

Die Faktenchecks des Bürgerforums sind öffentliche Expertendialoge: fachlich fundiert, gesellschaftlich ausgewogen und mit verständlichen Informationen zu Wind- und Wasserkraft, Solarenergie oder Genehmigungsverfahren. Mit Faktenchecks soll Klarheit geschaffen werden. In einem Faktenpapier werden die Ergebnisse dann verständlich aufgearbeitet und veröffentlicht.

Zusammenfassung: Faktencheck "Natur- und Umweltschutz" und Verwaltungsvorschrift "Naturschutz/Windenergie"  

Insbesondere der Natur- und Artenschutz werfen Fragen auf im Zusammenhang mit dem Windenergieausbau. Um diese gemeinsam zu beantworten und Unsicherheiten aus dem Weg zu räumen arbeitet das Bürgerforum in einem bundesweit einzigartigen Dialogprozess mit der Verwaltung, den Vogelschutzwarten und Naturverbänden sowie der Windenergiebranche zusammen.

2016 veröffentlichte das Bürgerforum das Faktenpapier ,,Natur- und Umweltschutz“, das auf der gleichnamigen Faktencheck-Veranstaltungen basiert. Hier wurden Auswirkungen der Windenergie auf Flora und Fauna gemeinsam mit ausgewiesenen Fachexperten zusammengetragen. In zwei Veranstaltungen wurden unter anderem folgende Themen besprochen: naturschutzfachliche Prüfkriterien in der Verwaltungspraxis; das Ausmaß der Eingriffe und dessen Auswirkungen auf das Ökosystem Wald sowie die Bewertung der naturschutzrechtlichen Ausgleichsmaßnahmen; die Auswirkungen von Windenergieanlagen auf besonders sensible Vogelarten, Fledermäuse und sonstige Wildtiere; rechtliche Rahmenbedingungen, mögliche Vermeidungsstrategien und die Zusammenarbeit aller beteiligten Akteure.

2017 veröffentlichte das Bürgerforum ein Update zum Faktenpapier ,,Natur- und Umweltschutz“. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse und rechtliche Änderungen wurden eingearbeitet: Neuformulierung des §44 im Bundesnaturschutzgesetz; Erkenntnisse zu Vögeln und Fledermäusen, die Einfluss auf die Abstandsregelungen und risikominimierende Maßnahmen für Windenergieanlagen haben.

2020 veröffentlichte das Bürgerforum gemeinsam mit den hessischen Naturschutzverbände (BUND, HGON und NABU), der hessischen Verwaltung und dem Bundes- sowie Landesverband für Windenergie (BWE) ein Eckpunktepapier zum Ausbau der Windenergie in Hessen. Die Verbände sind sich einig, dass der Ausbau der Windenergie aus Gründen des Klimaschutzes und zum Erhalt der Lebensgrundlagen notwendig ist. Gleichzeitig wurde anerkannt, dass der Ausbau zu erheblichen Eingriffen führen und für windenergiesensible Arten nachteilige Folgen haben kann. Insbesondere die Festlegung der Windvorrangflächen auf eine Größenordnung von 2 % der Landesfläche wurde deshalb als zielführend wahrgenommen.

2021 trat die neue Hessische Verwaltungsvorschrift ,,Naturschutz/Windenergie in Kraft. Diese wurde in einem großangelegten Dialogprozess mit allen wichtigen Akteuren gemeinsam erarbeitet. Ziel ist es, den Naturschutz und den Klimaschutz in den Windvorrangflächen optimal zu vereinen. Die Hessische Verwaltung war dabei durch die Regierungspräsidien Darmstadt, Gießen, Kassel und durch die Hessischen Ministerien für Umwelt, Energie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sowie für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung vertreten. Außerdem wurden das Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende, die Vogelschutzwarten und Naturverbände sowie die Windenergiebranche und der Verband kommunaler Unternehmen mit einbezogen.

Nachfolgend finden Sie eine detaillierte Berichterstattung der zuvor kurz beschriebenen Meilensteine inklusive der jeweiligen Veröffentlichungen.

Aktualisierung der Verwaltungsvorschrift „Naturschutz/Windenergie“ 2021

Seit dem Leitfaden 2012 hat es neue wissenschaftliche Erkenntnisse und rechtliche Änderungen zur Windenergie im Zusammenhang mit dem Naturschutz gegeben. Die hessische Verwaltungsvorschrift hat diese zur Verbesserung der Rechtssicherheit bewertet und eingearbeitet. Dazu hat das Bürgerforum Energiewende Hessen einen Dialogprozess mit Verwaltung und Verbänden initiiert und durchgeführt.

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Das Land Hessen hat sich das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2045 seinen Energiebedarf im Strom und Wärmebereich bilanziell zu 100 % aus erneuerbaren Energien zu decken. Die Windenergie wird dabei eine ganz entscheidende Rolle spielen. Um diese Ziele zu erreichen, hat das Land 2% der Landesfläche als Windvorrangflächen ausgewiesen. Um jetzt innerhalb der Windvorrangflächen den Naturschutz und den Klimaschutz optimal zu vereinen, hat das Land eine neue Verwaltungsvorschrift ausgearbeitet.

Diese wurde in einem bundesweit einzigartigem Dialogprozess der Verwaltung zusammen mit der Vogelschutzwarte, Naturschutzverbänden, aber auch mit der Windenergie-Branche erarbeitet. Die Hessische Verwaltung war dabei durch die Regierungspräsidien Darmstadt, Gießen, Kassel und durch die Hessischen Ministerien für Umwelt, Energie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sowie für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung vertreten. Organisiert und moderiert wurde der Prozess durch die LandesEnergieAgentur Hessen.

Ziel war es, vorhandene Unsicherheiten auf Seiten der Projektierer und Regierungspräsidien zu beseitigen sowie Planungssicherheiten zu schaffen, um die Energiewende wieder ein Stück weiter voranzubringen.

Neuerungen und Präzisierungen zum Vogelschutz am Beispiel Rotmilan und Schwarzstorch

Insbesondere für den Rotmilan und den Schwarzstorch haben neue wissenschaftliche Erkenntnisse die Bewertungssituation verändert. Der kollisionsempfindliche Rotmilan kommt in Hessen relativ häufig vor. Er ist daher vom Windenergieausbau in vielen Fällen betroffen.

Neue Erkenntnisse brachte eine im Vogelschutzgebiet Vogelsberg durchgeführte dreijährige Rotmilan-Studie. Dabei wurden Tiere mit Sendern ausgestattet, um das Flugverhalten näher zu untersuchen. Über 20.000 gewonnene Flugdaten haben z.B. gezeigt, dass der 1.000 m-Mindestabstand zwischen Horst und Windenergie-Anlagen in Hessen meist ausreichend beim Kollisionsschutz für den Rotmilan ist.

Zum Schwarzstorch, der in Hessen mit ca. 60 Brutpaaren vorkommt, wurde eine einjährige Studie zum Flugverhalten der Art im Windpark-Bereich ausgewertet. Ein Ergebnis war, dass die Art einen vorsorglichen Umgang mit Windenergie-Anlagen zeigt und nur bei guter Sicht und ausreichend breiten Korridoren zwischen den Windenergie-Anlagen hindurchfliegen.

Daher gilt die Art in Hessen nicht mehr allgemein als kollisionsempfindlich, sondern nur noch bei definierten flugkritischen Situationen, z. B. bei Anlagen, die in weniger als 1.000 m Distanz zu Brutplätzen der Art liegen – in diesem Fall steigt das Kollisionsrisiko für flugunerfahrene Jungtiere beim Ausfliegen aus dem Horst.

Außerdem gilt es sicherzustellen, dass sich im Falle einer Betroffenheit geschützter Arten durch eine Windenergie-Planung der Erhaltungszustand der Populationen nicht verschlechtert. Auch wenn die Verwaltungsvorschrift vieles präzisiert – die artenschutzrechtlich stets erforderliche Einzelfallprüfung kann sie nicht ersetzen.

Individuell zu prüfen ist die Möglichkeit, wie die Windenergie-Anlagen möglichst konfliktarm geplant werden können.

Im Zusammenhang mit dem neuen Erlass zu Windenergie und Naturschutz wurde die Ausweisung von Schwerpunkträumen für die windenergiesensiblen Vogelarten Rotmilan und Schwarzstorch beschlossen. Um Schwarzstorch und Rotmilan wirksam zu schützen, werden dazu jetzt - ebenfalls im Dialog - große Schwerpunkträume zur Verbesserung des Erhaltungszustandes der Arten gesucht. 

Neuerungen und Präzisierungen zum Schutz von Fledermäusen

Auch bei Fledermäusen gab es einen riesigen Erkenntniszuwachs zum Verhalten der Tiere. So konnte in den letzten Jahren die Bewertung der Fledermausvorkommen durch neue Kartierunsmethoden mit technischen Hilfsmitteln deutlich revidiert werden. 

Heutzutage ist es Standard, mit pauschalen Betriebsalgorithmen WEA abzuschalten bzw. aus dem Wind zu nehmen. Maßgebliche Kriterien sind heute Jahreszeit, Temperatur, Sonnenuntergang, Sonnenaufgang, Windgeschwindigkeit und jetzt neu, auch Niederschlag. 

Bei den Fledermäusen existieren in Hessen ebenfalls Strategien zum Schutz vor Kollisionen, die gemeinsam mit Fledermaus-Experten entwickelt wurden:

  •             Für die maximal knapp über dem Baumkronen-Niveau fliegenden Arten (z. B. Mopsfledermaus) kann eine rotorfreie Zone von ca. 50 m oberhalb der Oberkante eines mittelalten Waldes oder Gehölzbestandes einen ausreichenden Kollisionsschutz bieten
  •             Die Breitflügelfledermaus, deren Jagd- und Wanderflüge bis maximal 80 m Höhe über Grund stattfinden, benötigt für den ausreichenden Kollisionsschutzes eine rotorfreie Zone von mindestens 90 m über Grund
  •             Bei den hoch im Luftraum jagenden und ziehenden Arten, wie z. B. dem Großen und Kleinen Abendsegler, erfolgt eine Abschaltung möglichst zielgerichtet zu Zeiten und zu Witterungsverhältnissen, in denen die Fledermäuse nach dem aktuellen Wissensstand aktiv sind - also 0,5 Stunden vor Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang – dies bei Windstärken kleiner 6 m/s sowie ab 10°C, zusätzlich muss auch der Niederschlag unter 0,2 Millimeter/Stunde liegen

 

 

Weiterführende Informationen:

Die Verwaltungsvorschrift (VwV) „Naturschutz/Windenergie“ finden Sie hier: Verwaltungsvorschrift (VwV) ,,Naturschutz/Windenergie"

Erklärfilme zur neuen Verwaltungsvorschrift:

Erklärfilm VwV Teil 1

Erklärfilm VwV Teil 2

Erklärfilm VwV Teil 3

 

Neue Erkenntnisse zum Schutz von Vögeln und Fledermäusen im Rahmen des Windenergieausbaus

Wetzlar, 05. Oktober 2017. Im Rahmen des Landesprogramms Bürgerforum Energieland Hessen (mittlerweile Bürgerforum Energiewende Hessen) diskutierten Expertinnen und Experten die aktuellen Entwicklungen im Themenfeld Natur- und Umweltschutz bei der Windenergieplanung. Zentrale Aspekte waren die Neuformulierung des §44 im Bundesnaturschutzgesetz sowie neue Erkenntnisse aus der Fledermausforschung, die Einfluss auf die Abstandsregelungen und risikominimierende Maßnahmen für Windenergieanlagen haben. Download: Faktenpapier Natur- und Umweltschutz (Ergänzung) (2017)

Dr. Andreas Meissauer, Referatsleiter im hessischen Wirtschafts- und Energieministerium, eröffnete die Folgeveranstaltung des Faktenchecks Windenergie in Hessen zu den Natur- und Umweltschutzthemen. „Das Landesprogramm Bürgerforum Energieland Hessen bietet mit den Dialogen vor Ort und mit seinen Faktenchecks eine wichtige Möglichkeit, die Diskussion um die Windenergie zu versachlichen“, betonte er. Bereits 2015 wurde in zwei Faktenchecks Fachwissen zum Flächenverbrauch im Wald, zu Vögeln, Fledermäusen und Wildtieren zusammengetragen und in einem umfassenden Faktenpapier verdichtet.

Ziel der jetzigen Folgeveranstaltung (Faktencheck „Update“) sei es nun, so Dr. Rainer Kaps von der hessischen Landesenergieagentur (LEA), den Kenntnisstand zu Vögeln und Fledermäusen zu aktualisieren. Im Mittelpunkt stand zum einen die Neuformulierung des § 44 Absatz 5 des Bundesnaturschutzgesetzes, in dem es um die Bewertung des signifikant erhöhten Tötungsrisikos geht. Zweites wichtiges Thema war eine Fledermaus-Studie des Bundesamtes für Naturschutz, in deren Folge die Abstandsregelungen für Mopsfledermäuse geändert wurden.

Faktenfindung Vögel: Einzelfallprüfung ist in jedem Fall notwendig

Klaus-Ulrich Battefeld, Referatsleiter im Hessischen Umweltministerium, erläuterte den Hintergrund und die Zielsetzung der Gesetzesänderung: „Der Gesetzgeber hat im Kern das nachvollzogen, was sich seit Jahren durch die Rechtsprechung ergeben hat und bereits in die Praxis eingeflossen ist“. Nach wie vor müssen die umweltbezogenen Prüfverfahren der Behörden durchlaufen werden, um mögliche Naturschutz-Konflikte zu vermeiden oder zu bewältigen, so Battefeld. Fachlich anerkannte Schutzmaßnahmen sind anzuwenden. Zentraler Punkt sei, dass sich Tötungs- und Verletzungsrisiken durch ein Vorhaben nicht signifikant erhöhen dürfen.

Reiner Diemel, Leiter des Dezernats Forsten und Naturschutz I des Regierungspräsidiums Gießen, legte eine umfangreiche Matrix zu Windenergieanlagen-sensiblen Vogelarten in Hessen vor. Informationen zum Schutzstatus, zur Brutbiologie und bevorzugtem Lebensraum, zu Flugverhalten und Gefährdung sind darin zusammengefasst, auch Abstandsempfehlungen und artenschutzrechtliche Vermeidungsmaßnahmen. Battefeld und Diemel betonten, dass weiterhin „eine Einzelfallprüfung in Form einer Raum-Nutzungs-Analyse durchzuführen“ sei. Nur so lasse sich entsprechend dem Vermeidungsgrundsatz die Anlagenplanung optimieren und Ablehnungen oder Genehmigungen fachlich begründen.

Die Notwendigkeit einer Einzelfallprüfung war auch für Martin Krauß vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND) entscheidend. Der Sprecher des Landesarbeitskreises Energie in Hessen sprach sich deutlich für die Windenergie aus. Besonders wichtig war ihm das Thema Repowering alter Anlagen, um das Kollisionsrisiko zu reduzieren. Gerade in Vogelschutzgebieten wie dem Vogelsberg müsse dies angewendet werden können. Herr Battefeld verwies hier auf die bestehende Gesetzeslage, die in solchen Schutzgebieten keine Neubau- oder Repowering-Maßnahmen zulässt, solange sie eine Beeinträchtigung bedeuten könnten (Verschlechterungsverbot). Er führte aus, dass in Schutzgebieten die Beweislastumkehr gilt.

Habitat-Analyse bei Gutachten in Bezug auf Mopsfledermäuse ausschlaggebend

Im Mittelpunkt der Diskussion um die jüngsten Forschungsergebnisse zu den Mopsfledermäusen stand Dr. Markus Dietz, Geschäftsführer des Instituts für Tierökologie und Naturbildung (ITN). Das Bundesamt für Naturschutz hatte fünf renommierte Fachbüros mit der Durchführung der Studie „Fledermäuse und Windenergie im Wald“ beauftragt. Dr. Dietz stellte die Ergebnisse vor und ergänzte sie um weitere Forschungsdaten aus Hessen. Die Untersuchungen zeigen, dass die Flughöhe der Mopsfledermaus meist weniger als 30–35 Meter beträgt. Dies wurde im Umfeld von Wochenstuben, Paarungsbäumen und Schwärmzentren eindeutig belegt. Die Kollisionsgefahr mit Windenergieanlagen wird als sehr gering eingestuft, wenn die Anlagen ausreichend Raum zwischen Baumkronen und Rotorblättern lassen. Der bisherige, vorsorgliche Schutzradius von 5000 Metern ist deshalb aufgehoben. Kritisch wurde der Verlust von Lebensraum bewertet. Die Studien zeigten, dass Mopsfledermäuse eine Vielzahl von verschiedenen Quartierbäumen benötigen und zwischen diesen nach wenigen Tagen wechseln. Notwendig seien deshalb genaue Dokumentationen von Quartierbäumen und deren Nutzung. Hierzu werden die Tiere mittels Netzen gefangen und mit einem Mini-Sender versehen. Durch anschließende Telemetrie können die Quartiere ermittelt werden. Die Telemetrieergebnisse werden ergänzt durch akustische Aufzeichnungen. Liegen solche präzisen Dokumentationen vor, kann mit einem Puffer von mindestens 200 Metern zu jedem nachgewiesenen Quartierbaum eine Anlage bewilligt werden, wenn essentielle Lebensräume nicht beeinträchtigt werden. Generell sei aber zu beachten, dass mögliche Quartierzentren geschont und Ausgleichsmaßnahmen durchgeführt werden müssen. Da Mopsfledermäuse selten als alleinige Art im Wald vorkommen, wurde außerdem auf die notwendigen Abschalt-Algorithmen an den Anlagen verwiesen. Klaus-Ulrich Battefeld ergänzte, dass in den Fällen, in denen eine detaillierte Dokumentation nicht möglich ist, in Hessen ein Vorsorgeradius von 1000 Metern um die Quartiere der Mopsfledermaus eingehalten werden muss.

Simultanprotokoll_Natur_und-_Umweltschutz_2017Das Simultanprotokoll mit den Fragen und Antworten der Veranstaltung finden Sie hier: Simultanprotokoll Natur und- Umweltschutz 2017 (PDF, 473 KB)


Ergaenzung_Voegel_und_Fledermaeuse_2017Die Ergänzung zum Faktenpapier finden Sie hier: Ergänzung zum Faktenpapier (PDF, 978 KB)

FAKTENCHECK NATUR- UND UMWELTSCHUTZ

Die Reihe „Faktencheck Windenergie in Hessen“ setzt sich fort. In zwei Veranstaltungen – am 6.10. in Fulda (Programm) und am 13.10. in Darmstadt (Programm) – widmeten sich Fachexperten der Vereinbarkeit von Windenergie und Natur- und Umweltschutz. Das Faktenpapier Natur- und Umweltschutz (Download) gibt die Fragen und Antworten der beiden Veranstaltungen in konzentrierter Form wieder. Es wurde von den beteiligten Expertinnen und Experten überarbeitet und freigebenden.

Im Rahmen des Landesprogramms „Bürgerforum Energieland Hessen“ sind in den Kommunen wiederholt wichtige Fragen rund um die Windenergie aufgetreten, deren Klärung von landesweiter Bedeutung ist. Hier setzt das Landesprogramm mit dem „Faktencheck Windenergie in Hessen“ an. Nach den Themen Infraschall, Systemintegration und Rentabilität stehen nun in zwei Veranstaltungen Fragen rund um die Vereinbarkeit des Ausbaus der Windenergie in Hessen mit dem Natur- und Umweltschutz im Mittelpunkt. Dabei werden mithilfe ausgewiesener Fachexperten die wichtigsten Fragen rund um die Auswirkungen der Windenergie auf die Pflanzenwelt (am 06. Oktober in Fulda) und die Tierwelt (am 13. Oktober in Darmstadt) geklärt. Die Ergebnisse werden der interessierten Öffentlichkeit im Nachgang in Form eines konsolidierten Faktenpapiers zur Verfügung gestellt.

Teil I: Flora (Flächenbedarf & Auswirkungen auf das Ökosystem Wald)

In Hessen – dem waldreichsten aller Bundesländer – liegen etwa 80 Prozent der für die Windenergienutzung geeigneten Flächen im Wald. Im ersten Teil des Faktenchecks zum Natur- und Umweltschutz klärten Expertinnen und Experten zentrale Fragen zur koordinierten Teilregionalplanung, zum Flächenbedarf sowie zu den Auswirkungen auf das Ökosystem Wald.

Zunächst erläuterten Sabine Richter (Regionalverband Frankfurt-Rhein-Main) und Reiner Diemel (Regierungspräsidium Gießen), wie natur- und umweltschutzrechtliche Belange in den bisherigen Prozessen der koordinierten Teilregionalplanung sowie in den einzelnen Genehmigungsverfahren Berücksichtigung finden. Hierbei wurde auf die Vielzahl von einschränkenden Kriterien hingewiesen, die bei der Ausweisung der Windvorranggebiete zu berücksichtigen sind. Der Arten- und Umweltschutz spielt hierbei eine wichtige Rolle. Die Teilregionalplanung legt unter anderem Schwerpunkträume für die Aufzucht und den Erhalt gefährdeter Arten fest und hält diese von Windenergieanlagen frei.

In einem zweiten Themenblock widmeten sich Dr. Ingo Ewald, (Ingenieurbüro für Erneuerbare Energien), Detlef Stys (Landesbetrieb Hessen Forst) und Peter C. Beck (Büro Ökologie und Stadtentwicklung) der Erfassung und Bewertung von Eingriffs- und Ausgleichsmaßnahmen. Konkret wurde der Flächenverbrauch in der Bauphase und im Betrieb erläutert, die Breite der Zuwegung, Tiefe von Fundamenten und Vorgaben zum Rückbau der Anlagen. Kritisch hinterfragt wurden die Expertinnen und Experten von Wolfgang Ruch (Landesverband Windenergie Nordhessen), von Hans Teegelbekkers (Landesverband Vernunftkraft) und durch das interessierte Publikum. Angeregt wurde zum Beispiel, Zahlen zusammenzustellen wieviel Waldfläche voraussichtlich für die Windenergie in Hessen benötigt werden wird und die vorgeschriebenen Ersatzaufforstungen umgesetzt werden können.

Wie sich Eingriffe und Ausgleichmaßnahmen auf das Ökosystems Wald auswirken, erläuterten Christoph von Eisenhart Rothe (Schutzgemeinschaft Deutscher Wald), Julia Nöding (Büro für angewandte Ökologie und Forstplanung) und Ron Kruck (Förster und Projektentwickler Städtische Werke AG Kassel). Die Städtischen Werke haben hierzu ein Forschungsprojekt initiiert, das einen Vergleich z.B. der Wildtierpopulation vor und während der Bauphase sowie später im Betrieb untersucht. In der Diskussion mit Walter Strauch (Forstbetriebsgemeinschaft „Bergwinkel“) und Joachim Wierlemann (Landesverband Windenergie) wurde vor allem deutlich, dass standortspezifisch Vor- und Nachteile von Eingriffen differenziert abgewogen und die notwendigen Eingriffe durch gezielte Ausgleichsmaßnahmen abgefedert werden müssen.

Schließlich wurden in einer Abschlussdiskussion Möglichkeiten erörtert, die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure zu stärken und somit die Planungen von Windparks zu optimieren. Angeregt wurde unter anderem, die unterschiedlichen Interessengruppen verstärkt in frühen Phasen der Planung einzubinden – nicht nur bei der Teilregionalplanung, sondern auch in konkreten Projekten, um Anlagenstandorte zu optimieren. Ergänzend wurde vorgeschlagen, Gutachter für kritische Fragestellungen zukünftig gemeinsam auszuwählen.

Teil II: Fauna (Vögel, Fledermäuse und sonstige Wildtiere)

Am Dienstag, den 13.10.2015, wurde in Darmstadt die Reihe „Faktencheck Windenergie in Hessen“ des Landesprogramms Bürgerforum Energieland Hessen fortgesetzt. Zentrale Bürgerfragen zu Vögeln, Fledermäusen und sonstigen Wildtieren wie Rotwild, Wildkatzen oder Haselmäusen wurden von Fachexperten diskutiert und beantwortet.

In Hessen sollen im Rahmen der koordinierten Teilregionalplanung 2% der Landesfläche als Windvorrangflächen ausgewiesen werden, um die Energiewende umzusetzen. Dabei gilt es, diejenigen Flächen zu identifizieren, die besonders viel Windertrag ermöglichen, ausreichend Abstand zur Wohnbebauung und Infrastruktur aufweisen und die geringsten negativen Auswirkungen im Sinne des Arten- und Naturschutzes haben, betonte Matthias Bergmeier, Referatsleiter Landesplanung im Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung in seiner Einleitung.

Iris Otto, Leiterin des Referats Integrierte Umweltplanung, ebenfalls aus dem Wirtschafts- und Energieministerium, erläuterte die rechtlichen Vorgaben, welche Vogelarten als windkraftsensibel gelten und welche Schutzvorgaben hierfür berücksichtigt werden müssen. Zunächst wies sie darauf hin, dass bei der Teilregionalplanung großräumige Schutzbereiche für windkraftsensible Arten ausgewiesen werden. Diese Bereiche stehen nicht für die Windenergienutzung zur Verfügung. Für die übrigen ausgewiesenen Flächen müssen bei der Planung die empfohlenen Mindestabstände des „Helgoländer Papier 2015“ zwischen Brutplatz und Anlage berücksichtigt werden. Außerhalb dieser Mindestabstände - beim Rotmilan z.B. nun 1500m anstelle von vormals 1000m - können Vorhabenträger Anlagen planen, da in der Regel keine relevanten Artenschutzkonflikte zu erwarten sind. Soll innerhalb dieses Radius geplant werden, muss der Vorhabenträger in diesem Ausnahmefall durch eine fachlich belastbare Raumnutzungsanalyse nachweisen, dass kein signifikantes Tötungsrisiko für die Tiere besteht. Zusätzlich wird im Rahmen des neuen hessischen Naturschutzleitfadens festgelegt, dass Anlagen in einem engen Radius von 500m um die Brutplätze generell nicht genehmigt werden können.

Dagmar Stiefel von der Staatlichen Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland Pflanz und Saarland und Dr. Oliver Kohle - von Kohle Nussbaumer SA - berichteten anschließend von Risiken durch Windenergieanlagen für einzelne Vogelarten. Beide kamen dabei zu sehr unterschiedlichen Einschätzungen, die anschließend mit den geladenen Fragestellern, Dr. Werner Neumann vom Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland e.V. (BUND) und Rudolf Fippl von der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz e.V. (HGON) sowie mit dem Publikum diskutiert wurden. Angeregt wurde hier, den Expertenaustausch weiter zu führen und zu den kritischen Fragen gemeinsam die Datenlage zu bewerten und zu verbessern.

Auch beim Themenblock zu windkraftsensiblen Fledermäusen wurden zunächst die Fragen geklärt, welche Arten als windkraftsensibel gelten und welche Erkenntnisse dieser Beurteilung zugrunde liegen. Reiner Diemel, Dezernatsleiter im Regierungspräsidium Gießen, betonte dabei die differenzierte Betrachtung der einzelnen Arten und ihrer Lebensweisen und erläuterte ausführlich die Prüfvorgaben durch das Bundesnaturschutzgesetz. Malte Fuhrmann, Diplombiologe und Gutachter Naturschutz, sowie Dr. Hendrik Reers vom Freiburger Institut für angewandte Tierökologie GmbH berichteten von den Methoden der Gutachtenerstellung und den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Durch vermehrt artspezifische Kenntnisse über die Bedürfnisse von Fledermäusen können inzwischen schon sehr differenzierte Empfehlungen zur Konfliktvermeidung, Eingriffsminderung und Kompensation ausgesprochen werden. Bedeutend sind hierfür auch Messungen an bestehenden Anlagen. Erneut wurden die Referenten u.a. von Peter Wassenaar vom Naturschutzzentrum Odenwald und Joachim Wierlemann, Landesvorsitzender des Bundesverbandes Windenergie e.V., kritisch befragt.

Dr. Matthias Herrmann, Öko-Log, gab einen Überblick über die bestehenden Studien zu Auswirkungen der Windenergieanlagen auf die übrigen Wildtiere. Mit Jan Kegel vom Landesjagdverband Hessen und Manfred Trinzen, dem ehemaligen Leiter des Artenschutzprojektes „Wildkatze in NRW“, berichteten anschließend zwei Experten über mögliche Beeinträchtigungen für Rotwild und Wildkatzen. Ein weiteres Tier, das als Leitart verschiedener FFH-Gebiete eine wichtige Rolle bei der Planung von Windenergieanlagen spielt, ist die Haselmaus. Eine Expertin aus dem Publikum konnte hier über Gefährdung und Schutzmöglichkeiten berichten. Deutlich wurde aber auch, dass die Datenlage für alle drei Tierarten durch fundierte Forschungsprojekte verbessert werden sollte, um Schutzmaßnahmen noch wirksamer zu gestalten.

In der Abschlussdiskussion wurde noch einmal auf die Notwendigkeit hingewiesen, hierbei die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure zu verbessern. Angeregt wurde eine vertiefte Faktenklärung der noch offenen Fragen zur Bewertung verschiedener Vogelarten sowie ein systematischer Wissensaufbau z.B. durch vergleichende Studien, die die Situation vor Baubeginn, in der Bauphase und später im Betrieb dokumentieren. Über Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit zwischen Planern und Naturschützern berichtete Markus Bormuth von der „Initiative gegen Windwahn“ (IGW) im Lautertal. Die Teilnehmer des Podiums waren sich einig, dass das Wissen der Menschen vor Ort besser genutzt werden müsse, um die Planung zu verbessern. Hierzu wird es nötig sein, geeignete Erfassungs- und Dokumentationsformen z.B. für Horststandorte zu entwickeln, damit gegenseitiges Vertrauen wachsen kann.

Aus den beiden Faktenchecks zu Flora (in Fulda) und Fauna (in Darmstadt) wird nun eine zusammenfassende Dokumentation erstellt. Die einzelnen Vorträge der Expertinnen und Experten finden Sie auf dieser Seite unter „Downloads“.

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